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La Bohème


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Rezension von

Matthias Pierre Lubinsky

La Bohème Sartre schrieb in seiner brillanten Studie über Charles Baudelaire: »Baudelaire manifestiert seine Besonderheit im Rahmen der bestehenden Welt. In einer Regung des Aufruhrs und des Zornes hat er sie zuerst seiner Mutter und seinem Stiefvater entgegengesetzt. Aber es handelt sich eben um Aufruhr, nicht um eine revolutionäre Tat. Der Revolutionär will die Welt ändern; er überholt sie in Richtung auf die Zukunft, in Richtung auf eine Wertskala, die er selbst erfindet. Der Aufrührer aber sorgt dafür, daß die Mißstände, unter denen er zu leiden hat, bestehen bleiben, damit er sich gegen sie auflehnen kann.« Sartres Untersuchung ist noch heute Maßstab für alles Folgende über Baudelaire, - auch wenn sie bescheiden als ‚Essay‘ daherkommt. Der Existentialist schreibt weiter: »Immer trägt er Elemente des schlechten Gewissens und eine Art Schuldgefühl mit sich herum. Er will weder zerstören, noch überwinden, sondern sich gegen die Ordnung wenden. Je mehr er sie angreift, desto mehr achtet er sie insgeheim; die Gesetze, die er öffentlich anficht, bewahrt er tief in seinem Herzen; würden sie verschwinden, so verschwände mit ihnen auch seine Daseinsberechtigung.« Was Sartre hier beschreibt, ist das Grundgesetz der Bohème: Wie groß wäre die Chance, sich von den Philistern absetzen zu können - und mit dieser Absetzbewegung ein Publikum zu erreichen - wenn das viele täten! Im Museum Ludwig Köln eröffnete vor kurzem die Ausstellung La Bohème – Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Titel stapelt niedrig, ist doch ein großes Verdienst der Ausstellungsmacher zu sehen in Umfang und Art der Präsentation. Über den Begriff der Bohème hat jedermann eine Vorstellung, die - im Gegensatz zu dem des Dandys - zumeist so falsch nicht ist. Häufig ist die Definition, wonach der Begriff Bohème eine Subkultur bezeichne, in der intellektuelle Rand- und Künstlergruppen sich innerhalb der sich industrialisierenden Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts sich von diesen absetzen. Durch symbolische Aggression und Aktionen, die ihrem Bekanntheitsgrad nicht schaden. Bekannt wurde die Bezeichnung ‚Bohème‘ durch das Buch Zigeunerleben – Szenen aus dem Pariser Literaten- und Künstlerleben (deutscher Titel) von Henri Murger. Tatsächlich scheint der Begriff von der Bezeichnung Böhmischer Zigeuner abzustammen. Interessant ist, das Baudelaires Gedicht in den Fleurs du mal Bohèmiens en voyage ins Deutsche übertragen worden ist mit Zigeuner unterwegs. Und wirklich handelt es von einer reisenden Wahrsager-Truppe und nicht von urbanen Künstler-Provokateuren. Bodo von Dewitz, Kurator der Ausstellung, verdeutlicht in der Einführung zum Katalog der Ausstellung, wie sehr zwei Faktoren die Entwicklung von ‚Bohème‘ und deren Bekanntwerden bedingten und verstärkten. Der erste Faktor ist die technische Moderne mit ihrem wissenschaftlichen Fortschritt und deren diversen Folgen wie Stadtflucht, Verarmung und Revolutionen. Das zweite bedeutende Faktum ist die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufkommende Photographie. Viele der Bohème zugerechnete Künstler nutzten das neue Medium sofort zu Inszenierung und Selbstdarstellung. Eine anfänglich große Bedeutung hatte der Photograph Nadar, dessen Portraits vieler Pariser Künstler noch heute allgemein bekannt sind. Milan Chlumski schreibt in seinem Beitrag, woran das liegt: Nadar hatte sich früh einen Ruf als hervorragender Portrait-Photograph erarbeitet, was dazu führte, dass die Pariser Kunst-Chickeria sich bei ihm die Klinke in die Hand gab. Nadar war jedoch genialisch genug, seine Auftraggeber nur scheinbar im besten Licht zu dokumentieren. Milan Chlumski schreibt: »Nadar war sehr genau über das Leben der Bohème, der Dandys und Künstler informiert. Seine Meinung zu einer Person schlug sich in den Porträts von ihnen nieder. Man braucht nur sein Porträt des Schriftstellers und Möchtegern-Dandys Champfleury zu betrachten, um zu wissen, was der Fotograf in ihm sah: einen Karrieristen, der auf seinem Weg zu Ruhm und Macht angeblich Balzacs Erbe ausschlachtete.« Dass der Steidl Verlag für das Katalog-Buch verantwortlich zeichnet, kann als Glücksfall gesehen werden. Die Druckqualität der Göttinger genießt weltweiten Ruf. Es lohnt sich halt, dass der Verleger himself alte Druckmaschinen vor ihrer Verschrottung bewahrt hat und den Druck seiner Bücher manisch persönlich überwacht. Der Druckqualität - die man bei Steidl-Büchern übrigens bereits am Geruch erkennt - entspricht der Inhalt. Das Thema der Bohème und ihrer photographischen Selbstinszenierung wird auf vielfältige Weise, von über zwei Dutzend Blickwinkeln beleuchtet. Insgesamt 29 Aufsätze behandeln bedeutende Personen, Orte und Einzelfacetten: Die Schaffung der Bohème in der Literatur, Gustave Courbet, Hippolyte Bayard und Ernst Ludwig Kirchner oder die europäischen Metropolen als Brutstätten von avantgardistischer Kultur sind Themen. Bayard inszenierte sich 1840 auf einer Photographie als Ertrunkener, um seinen »selbstlosen Widerstand« (Bodo von Dewitz) gegen die Ablehnung durch die Akademie zu zeigen. Der rituelle Scheinsuizid eines Verzweifelten hatte Tradition in der Kunstgeschichte, bekam jedoch mit dem Aufkommen der Photographie einen neuen Auftrieb. Besonders erfreulich sind die Kürze der Texte und ihre Verständlichkeit tief unter dem akademischen Elfenbeinturm, was ihr Niveau nicht schmälert. So avanciert das bibliophile und ästhetische Katalogbuch zu einer Art deutschem Handbuch zur Bohème.

Sartre schrieb in seiner brillanten Studie über Charles Baudelaire:

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»Baudelaire manifestiert seine Besonderheit im Rahmen der bestehenden Welt. In einer Regung des Aufruhrs und des Zornes hat er sie zuerst seiner Mutter und seinem Stiefvater entgegengesetzt. Aber es handelt sich eben um Aufruhr, nicht um eine revolutionäre Tat. Der Revolutionär will die Welt ändern; er überholt sie in Richtung auf die Zukunft, in Richtung auf eine Wertskala, die er selbst erfindet. Der Aufrührer aber sorgt dafür, daß die Mißstände, unter denen er zu leiden hat, bestehen bleiben, damit er sich gegen sie auflehnen kann.«

Sartres Untersuchung ist noch heute Maßstab für alles Folgende über Baudelaire, - auch wenn sie bescheiden als ‚Essay‘ daherkommt. Der Existentialist schreibt weiter:

»Immer trägt er Elemente des schlechten Gewissens und eine Art Schuldgefühl mit sich herum. Er will weder zerstören, noch überwinden, sondern sich gegen die Ordnung wenden. Je mehr er sie angreift, desto mehr achtet er sie insgeheim; die Gesetze, die er öffentlich anficht, bewahrt er tief in seinem Herzen; würden sie verschwinden, so verschwände mit ihnen auch seine Daseinsberechtigung.«

Was Sartre hier beschreibt, ist das Grundgesetz der Bohème: Wie groß wäre die Chance, sich von den Philistern absetzen zu können - und mit dieser Absetzbewegung ein Publikum zu erreichen - wenn das viele täten! Im Museum Ludwig Köln eröffnete vor kurzem die Ausstellung La Bohème – Die Inszenierung des Künstlers in Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Titel stapelt niedrig, ist doch ein großes Verdienst der Ausstellungsmacher zu sehen in Umfang und Art der Präsentation.

Über den Begriff der Bohème hat jedermann eine Vorstellung, die - im Gegensatz zu dem des Dandys - zumeist so falsch nicht ist. Häufig ist die Definition, wonach der Begriff Bohème eine Subkultur bezeichne, in der intellektuelle Rand- und Künstlergruppen sich innerhalb der sich industrialisierenden Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts sich von diesen absetzen. Durch symbolische Aggression und Aktionen, die ihrem Bekanntheitsgrad nicht schaden.

Bekannt wurde die Bezeichnung ‚Bohème‘ durch das Buch Zigeunerleben – Szenen aus dem Pariser Literaten- und Künstlerleben (deutscher Titel) von Henri Murger. Tatsächlich scheint der Begriff von der Bezeichnung Böhmischer Zigeuner abzustammen. Interessant ist, das Baudelaires Gedicht in den Fleurs du mal Bohèmiens en voyage ins Deutsche übertragen worden ist mit Zigeuner unterwegs. Und wirklich handelt es von einer reisenden Wahrsager-Truppe und nicht von urbanen Künstler-Provokateuren.

Bodo von Dewitz, Kurator der Ausstellung, verdeutlicht in der Einführung zum Katalog der Ausstellung, wie sehr zwei Faktoren die Entwicklung von ‚Bohème‘ und deren Bekanntwerden bedingten und verstärkten. Der erste Faktor ist die technische Moderne mit ihrem wissenschaftlichen Fortschritt und deren diversen Folgen wie Stadtflucht, Verarmung und Revolutionen. Das zweite bedeutende Faktum ist die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aufkommende Photographie. Viele der Bohème zugerechnete Künstler nutzten das neue Medium sofort zu Inszenierung und Selbstdarstellung. Eine anfänglich große Bedeutung hatte der Photograph Nadar, dessen Portraits vieler Pariser Künstler noch heute allgemein bekannt sind. Milan Chlumski schreibt in seinem Beitrag, woran das liegt: Nadar hatte sich früh einen Ruf als hervorragender Portrait-Photograph erarbeitet, was dazu führte, dass die Pariser Kunst-Chickeria sich bei ihm die Klinke in die Hand gab. Nadar war jedoch genialisch genug, seine Auftraggeber nur scheinbar im besten Licht zu dokumentieren. Milan Chlumski schreibt: »Nadar war sehr genau über das Leben der Bohème, der Dandys und Künstler informiert. Seine Meinung zu einer Person schlug sich in den Porträts von ihnen nieder. Man braucht nur sein Porträt des Schriftstellers und Möchtegern-Dandys Champfleury zu betrachten, um zu wissen, was der Fotograf in ihm sah: einen Karrieristen, der auf seinem Weg zu Ruhm und Macht angeblich Balzacs Erbe ausschlachtete.«

Dass der Steidl Verlag für das Katalog-Buch verantwortlich zeichnet, kann als Glücksfall gesehen werden. Die Druckqualität der Göttinger genießt weltweiten Ruf. Es lohnt sich halt, dass der Verleger himself alte Druckmaschinen vor ihrer Verschrottung bewahrt hat und den Druck seiner Bücher manisch persönlich überwacht.

Der Druckqualität - die man bei Steidl-Büchern übrigens bereits am Geruch erkennt - entspricht der Inhalt. Das Thema der Bohème und ihrer photographischen Selbstinszenierung wird auf vielfältige Weise, von über zwei Dutzend Blickwinkeln beleuchtet. Insgesamt 29 Aufsätze behandeln bedeutende Personen, Orte und Einzelfacetten: Die Schaffung der Bohème in der Literatur, Gustave Courbet, Hippolyte Bayard und Ernst Ludwig Kirchner oder die europäischen Metropolen als Brutstätten von avantgardistischer Kultur sind Themen. Bayard inszenierte sich 1840 auf einer Photographie als Ertrunkener, um seinen »selbstlosen Widerstand« (Bodo von Dewitz) gegen die Ablehnung durch die Akademie zu zeigen. Der rituelle Scheinsuizid eines Verzweifelten hatte Tradition in der Kunstgeschichte, bekam jedoch mit dem Aufkommen der Photographie einen neuen Auftrieb.

Besonders erfreulich sind die Kürze der Texte und ihre Verständlichkeit tief unter dem akademischen Elfenbeinturm, was ihr Niveau nicht schmälert. So avanciert das bibliophile und ästhetische Katalogbuch zu einer Art deutschem Handbuch zur Bohème.

geschrieben am 01.11.2010 | 776 Wörter | 4704 Zeichen

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